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Autismus-Spektrum-Störungen im Kindesalter

Eine besondere Aufgabe für Pädagog:innen der Gegenwart



„Autismus- Spektrum- Störungen gehören zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen.“ „Hierbei sind alle Bereiche der Entwicklung schon im frühen Kindesalter betroffen.“ Diese beiden Aussagen finden wir in zahlreichen Abhandlungen, Artikeln und Berichten zum Thema. Aber was sagen diese Formulierungen eigentlich wirklich aus und was bedeuten sie für unseren pädagogischen Alltag?

Die Entwicklung von Kindern läuft nicht immer linear ab. Das ist für die meisten Fachkräfte kein Geheimnis. Aber die Differenzierung zwischen verzögerter und gestörter Entwicklung gehört auch für absolute Experten zu den komplexesten Aufgabenbereichen. Oft beobachten wir einen langwierigen Prozess zwischen den ersten Verdachtsmomenten und einer möglichen Diagnose. Das ist bis zu einem gewissen Punkt auch nicht ungewöhnlich, da viele Symptome erst mit der Zeit auftreten und das autistische Profil betroffener Kinder schärfen oder erst sichtbar machen. Trotz Dessen ist eines klar, je früher autismusspezifische Förderung stattfindet, desto höher sind die Chancen, dem Kind ein selbstwirksames Leben und ein Höchstmaß an Autonomie zu ermöglichen. Denn wer kennt sie nicht, diese Kinder, die auf eine besondere Art und Weise das bestehende System durch ihre Verhaltensweisen durcheinanderwirbeln, weil Sie ganz andere Bedürfnisse, Gewohnheiten oder Vorlieben haben als Gleichaltrige? Spielzeug nach Form oder Farbe sortieren, auf Ritualen bestehen. Wutausbrüche bekommen, weil die Gruppenleitung wetterbedingt vom Wochenplan abweicht. Diese Situation kommt doch vielen Menschen bekannt vor, weil sie mal etwas darüber gelesen oder sich an einen Film erinnert haben.


Aber kann so eine Vermutung auch tatsächlich richtig sein? Und wem steht es überhaupt zu, den Verdacht offen auszusprechen oder die nächsten Schritte einzuleiten?

Bei wem liegt jetzt die Verantwortung, auch die geringsten Auffälligkeiten, z. B. in den Bereichen Kommunikation oder Sozialverhalten zu registrieren. Und welches Verhalten entspricht überhaupt der Norm, oder ist von ihr abweichend. Ist das Umfeld des Kindes dazu in der Lage, Verhaltensweisen, wie Stereotypien richtig einzuordnen? Oder werden diese als unangemessenes Verhalten wahrgenommen? Oder vielleicht sogar als defizitär eingestuft? Es bleibt schwierig.

Den meisten Eltern kann man keinen Vorwurf machen, denn Eltern sind zwar Profis für ihr eigenes Kind, allerdings keine Pädagog:innen oder Therapeut:innen. Und auch wenn sie es sind, ist die Wahrnehmung von der Entwicklung des eigenen Kindes oft etwas verschwommen. Kinderärzte legen den Fokus im Rahmen der U-Untersuchen in der Regel nicht immer auf die aussagekräftigsten Bereiche der kindlichen Entwicklung. Aber dies ist eher ein Problem des Konstruktes und nicht der fehlenden fachlichen Kompetenz. Eines ist ganz klar: Störungen im autistischen Spektrum machen es uns ungern leicht, sie zu entdecken. Durch Standardtestverfahren, wie z.B. Bluttests sind die Störungen nicht diagnostizierbar. Aus diesem Grund bleibt nur die Möglichkeit, die Diagnose aufgrund der Verhaltensweisen zu stellen. Ein Verfahren, dass leider sehr von Subjektivität geprägt ist.

Am Ende sind es dann vielleicht wir Fachkräfte, die das Kind mit dem objektivsten Blick unter die Lupe nehmen. Oft sagt uns das Bauchgefühl, dass betroffene Kinder eine besondere Form der Unterstützung benötigen. In Verbindung mit dem passenden Fachwissen, könnten hier bereits die ersten sinnvollen Weichen gestellt werden. Denn autistische Kinder müssen verstanden werden, um Ihnen mit der richtigen pädagogischen Haltung und vor allem der notwendigen Wertschätzung ihrer Bedürfnisse zu begegnen. Erworbenes Fachwissen schafft hierbei eine neue Perspektive. Weg von der Stigmatisierung, hin zum Verständnis. Es reicht nicht nur aus, Verhaltensweisen zu verstehen, um diese dann eventuell sogar in positive Kanäle leiten zu können. Nein, vielmehr ist es dringend notwendig, durch Hintergrundwissen Akzeptanz für außergewöhnliche Verhaltensweisen zu entwickeln. Dies baut Barrieren ab und wirkt der Stigmatisierung betroffener Kinder entgegen.

Und auch jetzt schon, sind es in der Regel Erzieher:innen oder Heilpädagog:innen, die den richtigen Blick für Situationen und Verhaltensweisen haben und lösungsorientierte Prozesse anstoßen. Hierbei ist eines schon zu Anfang klar:


Dieser Weg ist einer, der viele Widerstände in sich trägt. Aber es ist sinnvoll. Denn die Hauptperson ist eine, für die es sich lohnt sich einzusetzen.

Am Ende kann ich meinen pädagogischen Kolleg:innen nur folgendes raten: „Solltet ihr eine fachliche Affinität zu diesen einzigartigen Kindern entwickeln oder schon eine ganze Weile verspüren, dann macht euch auf den Weg. Bildet Euch fort. Erlangt fachliches Hintergrundwissen und schärft Euer Profil, damit Unauffälliges nicht unbemerkt bleibt und betroffene Kinder starke Fürsprecher haben, die in ihrer fachlichen Argumentation zu Gunsten Betroffener nur schwer aus der Ruhe zu bringen sind. Denn von Euch gibt es leider noch viel zu wenige.“


 


Timo Warnholz ist therapeutische Fachkraft für Autismus, Traumapädagoge und Sozialfachwirt. Seit fast 20 Jahren ist er in sozialen Einrichtungen tätig. Neben seiner Tätigkeit als Leiter einer Beratungsstelle für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen und als Teamleiter eines ambulanten pädagogischen Assistenzdienstes, arbeitet er seit vielen Jahren als freiberuflicher Fachberater und Referent. Hierbei ist es ihm besonders wichtig, durch die Vermittlung fachlichen Hintergrundwissens, Verständnis für komplexe Störungsbilder und die daraus resultierenden Verhaltensweisen und Symptome zu erzeugen.

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