top of page

Der digitale Kindergarten

Ein Artikel von Prof. Dr. Helen Knauf

Eine kurze Nachricht an die Freundin über den Messenger, Yoga mit der App, Rezeptsuche im Internet und die Fernseh-Serie via Stream – Digitale Medien sind in unserem Leben allgegenwärtig. Und spätestens durch die Kitaschließungen und Kontaktbeschränkungen während der Coronapandemie haben digitale Medien auch in Kindertageseinrichtungen an Bedeutung gewonnen.

Ein guter Anlass, einmal genauer hinzuschauen: Was bedeutet eigentlich Digitalisierung in der Kita? Grundsätzlich können vier Ebenen unterschieden werden, auf denen Digitalisierung in Kitas eine Rolle spielt:


  1. Organisation & Management: In den Büros von Kitas hat der Computer schon vor vielen Jahren Einzug gehalten. Kommunikation via E-Mail und PowerPoint-Präsentationen für Team und Träger machen dabei nur einen Teil aus. Inzwischen sind auch Einsatzpläne für Mitarbeitende, statistische Erfassung von Daten, Buchungstools für Kitaplätze und die eigene Homepage gang und gäbe. Betrachtet man diesen Teil der Digitalisierung muss man sagen: Viele Kitas sind schon lange digital!

  2. Elternkommunikation: In den meisten Einrichtungen spielen Aushänge und ausgedruckte oder handgeschriebene Elternbriefe nach wie vor eine zentrale Rolle. Zunehmend wird aber auch digital vermittelt kommuniziert, nämlich über E-Mails und Messenger-Dienste, wie etwa WhatsApp. Hinzu kommen in immer mehr Einrichtungen Clouds, in denen Fotos für Eltern bereitgestellt werden. Hier ist die Beachtung des Datenschutzes immer wieder ein Thema, gerade wenn kommerzielle Anbieter wie WhatsApp genutzt werden.

  3. Reflexion & Vor- und Nachbereitung: Dazu gehört beispielsweise die pädagogische Dokumentation. Dies wird im Grunde schon dann digital, wenn ein digitaler Fotoapparat benutzt wird, um eine Situation festzuhalten oder wenn eine Lerngeschichte in einem Textverarbeitungsprogramm geschrieben wird. Inzwischen gibt es aber auch verschiedene Apps, mit denen die Dokumentation als gesamter Prozess digitalisiert wird. Auf dieser Ebene der Digitalisierung sind zudem digital unterstützte Fort- und Weiterbildungen im Online-Modus anzusiedeln (die während der Corona-Pandemie einen regelrechten Boom erlebt haben). Hierzu gehört auch die Recherche von Ideen oder Vorlagen im Internet zur Vorbereitung eines bestimmten Projektes oder einer Aktivität in der Kita durch pädagogische Fachkräfte.

  4. Medienerziehung & Mediendidaktik: Hier geht es um die oben erwähnte digitale Bildung in der direkten Arbeit mit Kindern. Dabei können zwei Ebenen unterschieden werden: Die alltagsintegrierte Medienbildung und die Umsetzung gezielter Medienprojekte. Bei der alltagsintegrierten Medienbildung geht es darum, Medien als selbstverständlichen Instrumente der Welterkundung zu nutzen, etwa um im Internet zu recherchieren, eine nützliche App zu verwenden oder gemeinsam ein Plakat zu gestalten. Medienprojekte hingegen stellen gezielt eine bestimmte Technik in den Vordergrund. Das kann zum Beispiel die Erstellung eines Films oder eines digitalen Buchs sein.



Es ist wichtig, dass wir uns diese Unterscheidung bewusst machen, denn sie führt uns vor Augen: Wir stecken bereits mittendrin im Prozess der Digitalisierung! Digitale Geräte und Anwendungen sind keine Zukunftsmusik, sondern Teil unserer Gegenwart und deshalb ist es umso dringender, dass wir uns damit befassen.

Digitalisierung ist kein Selbstzweck

Das Wissen um diese vier Ebenen macht aber auch deutlich, dass Digitalisierung sehr viele verschiedene Funktionen erfüllen kann. Gerade angesichts der Fülle an Anforderungen und Aufgaben, die heute an Kindertageseinrichtungen gestellt werden, gilt es, gezielt auszuwählen. Fachkräfte und Leitungen sollten sich genau überlegen, warum sie an welcher Stelle digitale Instrumente einsetzen und was sie sich davon vorsprechen, denn nur so können sie nachher prüfen, ob ihre Vorstellungen sich auch erfüllt haben. Dazu zwei Beispiele:

Bei der Kommunikation mit Eltern (Ebene 2) könnte beispielsweise ein Ziel darin bestehen, die Familien schneller zu erreichen und vor allem auch alle zu erreichen. Mit Hilfe digitaler Tools können Informationen direkt auf das Smartphone geschickt werden, so dass eventuell mehr Väter und Mütter die Nachricht auch wirklich erhalten, als wenn ein Zettel am Fach des Kindes hängt, den vielleicht nur die Oma sieht, die das Kind gerade abholt. Vor allem aber können digitale Nachrichten mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen leicht in andere Sprachen übersetzt werden, so dass Verständigungsprobleme überwunden werden. Nur wer sich diese (oder andere) Ziele bewusst gemacht hat, kann nach einer Testphase auch beurteilen, ob sie erreicht werden.


Ein anderes Beispiel ist die digitale Dokumentation (Ebene 3): Mit ihr wird häufig das Ziel verbunden, die Dokumentation besser in den Alltag integrieren zu können, so dass weniger Zeit aufgewendet werden muss und insgesamt mehr dokumentiert wird. Auch hier ist es sinnvoll, nach einigen Monaten zu prüfen, ob diese Alltagsintegration gelungen ist. Diese Bestandsaufnahme kann aber auch ergeben, dass mit der Digitalisierung der Dokumentation bestimmte „Nebenwirkungen“ auftreten, die man vorher gar nicht eingeplant hatte. Es kann beispielsweise sein, dass zwar mehr Einträge ins nun digitale Portfolio hineinkommen, dass diese Beiträge aber alle sehr gleichförmig oder langweilig sind. Aber auch positive „Nebenwirkungen“ sind denkbar: Vielleicht macht es den Fachkräften auf einmal viel mehr Spaß zu dokumentieren. Oder durch den neuen Kanal kommt es zu einem viel angeregteren Austausch mit den Familien der Kinder.


Die beiden Beispiele zeigen, dass Digitalisierung nicht um ihrer selbst willen geschehen sollte, sondern stets einen bestimmten Zweck verfolgen sollte – und es wichtig ist im Blick zu behalten, ob sich dieser Zweck auch erfüllt. Damit kann auch die Strategie verbunden werden, eine digitale Neuerung einfach mal für eine bestimmte Zeit auszuprobieren (die Zeitspanne sollte allerdings nicht zu kurz sein). Das erleichtert das Anfangen und ermöglicht auch ein etwaiges Aufhören, wenn sich die Hoffnungen nicht erfüllen.


Unbedingt notwendig: Digitale Bildung

Medienerziehung und -didaktik hingegen (Ebene 4) sollten zum Bildungsangebot jeder Einrichtung gehören. In nahezu allen Bildungsplänen der Bundesländer ist der Bildungsbereich Medien heute fest verankert. Die Arbeit in diesem Bereich sollten wir im Zusammenhang mit unserem aktuellen Bildungsverständnis verstehen. Bildung wird dabei als die Aneignung von Welt verstanden, als ein Konstruktionsprozess, den das Kind aktiv vollzieht. Dieser Idee folgend vollzieht sich Medienbildung in zweierlei Hinsicht

  • Erstens können Medien Instrumente, Hilfsmittel für Kinder sein, um sich die Welt zu erschließen.

  • Zweitens sind Medien selbst Teil dieser Welt und indem sich Kinder Medien erschließen, erschließen sie sich ebenfalls ein Stück Welt. Darauf bezieht sich die Medienkompetenz. Sie ist als Teil der Digitalkompetenz zu verstehen.

Und genau um diesen doppelten Bildungsauftrag geht es bei der Medienbildung in Kindertageseinrichtungen. Digitale Bildung sollte also nicht missverstanden werden als die korrekte Handhabung digitaler Endgeräte. Und digitale Bildung ist eben gerade im Kontext von Bildungseinrichtungen wie der Kita nicht (oder nur am Rande) der passive Konsum von Bildungsprodukten. Stattdessen sollten die Bildungspotenziale digitaler Medien genutzt werden: Das intuitive Erkunden sowie die Ermutigung und Ermächtigung zum selbstständigen, von Technologien unabhängigen, freien Denken.


Medienbildung mit Kindern konkret

Für eine Medienbildung, die nicht auf Bedienkompetenz setzt, sondern auf kreatives und produktives Handeln mit Medien braucht es prinzipiell gar keinen großen Technikeinsatz. Einen einfachen Einstieg bieten Fotos: Die Kinder können sich z.B. gegenseitig portraitieren oder ihre Lieblingsplätze oder -materialien in der Einrichtung fotografieren. Dazu können sie erst einmal herausfinden, was ein gutes Foto ausmacht: Ein bestimmter Ausschnitt, der Abstand vom Objekt, ein günstiger Einfallswinkel des Lichts.

Andere Medienprojekte sind eher darauf angelegt, die Reflexion anzuregen: Kinder können dazu angeregt werden sich zu überlegen, welche Medienfiguren sie besonders gern mögen und warum. Was ist beispielsweise so toll an Anna und Elsa? Oder wann und mit wem sie sich eine Sendung angucken: Abends oder am Nachmittag, mit den Geschwistern oder alleine?

Inzwischen gibt es auch eine Vielzahl von Bilderbüchern, die entweder die technische Seite digitaler Medien beleuchten (Wie funktioniert ein Computer?) oder die soziale Seite (Welche Rolle spielt das Internet in unserem Leben?).


Bei diesen Beispielen wird auch deutlich, dass viele Befürchtungen Bedenken gegen (digitale) Medien in der Kita bei einer angemessenen Umsetzung der Medienbildung nicht zutreffen: So stehen gerade bei Kindern im Kita-Alter digitale Medien und sinnliche Wahrnehmung nicht direkt in einem Widerspruch – vielmehr können technische Geräte wie Video- und Fotogerät oder eben Apps das unmittelbare Erleben der Welt unterstützen und vertiefen. Die Beispiele zeigen auch, dass es eben nicht nur um Bildschirmgeräte geht, sondern einem ganzheitlichen Ansatz folgend vielfältige Objekte und Materialien einbezogen werden können. Im Idealfall steht das gemeinsame Tun mehrerer Kinder und Erwachsener im Mittelpunkt. Digitalisierung sollte also immer darauf abzielen, die Bildungsprozesse in der Kita im Sinne ko-konstruktiver Auseinandersetzung mit der Welt zu anzuregen und zu bereichern.



 

Prof. Dr. Helen Knauf – Professorin an der Fachhochschule Bielefeld.


Mehr Artikel von Prof. Dr. Helen Knauf findest Du auf ihrem Blog: https://kinder.hypotheses.org/


bottom of page